Leistungsglaube von Eltern begünstigt Abwertungstendenz bei Kindern

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Pressmitteilung von: Bayer AG

Studie der Bepanthen-Kinderförderung belegt: Einstellung bestimmter Elterngruppen überträgt sich auf Folge-Generation / Unsolidarische Haltung gegenüber Schwächeren wird weitergegeben – Hilfsbereitschaft lässt sich positiv beeinflussen / Väter und Mütter fühlen sich von Elterndasein grundsätzlich eher nicht gestresst
 
Leverkusen, 13. Mai 2020 – Der Leistungsglaube, aber auch ein hoher Notendruck einiger Eltern, schürt bei jungen Menschen Abwertungstendenzen gegenüber Randgruppen. Von den jungen Menschen, die besonders starke Abwertungstendenzen aufweisen, sehen sich rund 21 Prozent als „Versager“, 35 Prozent fühlen sich manchmal „nutzlos“. Zu diesem Ergebnis kommt die weiterführende Auswertung der Gemeinschaftssinn-Studie der Bepanthen-Kinderförderung und der Universität Bielefeld. Nach den 2019 veröffentlichten Daten zum Gemeinschaftssinn bei Kindern und Jugendlichen stehen aktuell die Perspektive der Eltern und ihr Einfluss auf die Kinder und Jugendlichen im Fokus. Die Besonderheit der Erhebung: Für die Studie wurden innerhalb der Familien – getrennt voneinander – sowohl Kinder und Jugendliche als auch die jeweiligen Eltern befragt. So lassen sich Parallelen abbilden und Rückschlüsse zum Einfluss der Eltern-Perspektive auf die Kinder-Einstellung ziehen.

Gemeinschaftssinn: Eltern legen den Grundstein

Die wichtigste Erkenntnis aus der Befragung von fast 1000 Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 16 Jahren war: Mehr als ein Fünftel der befragten Kinder (22 Prozent) verfügt lediglich über einen mangelhaft ausgeprägten Gemeinschaftssinn, bei den Jugendlichen ist es sogar ein Drittel (33 Prozent). Zur Definition von Gemeinschaftssinn zogen die Wissenschaftler vier Dimensionen heran: Empathie, Solidarität, Gleichgültigkeit und Abwertung. Nach der Perspektive der Heranwachsenden wurden nun die Daten der mehr als 700 Eltern ausgewertet.

Mit Blick auf die einzelnen Gemeinschaftssinn-Faktoren zeigt sich nun: Eine unsolidarische Einstellung gegenüber Schwächeren wird offenbar von Generation zu Generation weitergegeben. Die Mehrheit der Kinder (6 bis 11 Jahre), deren Eltern wenig Solidarität aufweisen, zeigt sich ebenfalls nicht solidarisch – beispielsweise gegenüber Mitschülern, die ausgegrenzt werden. Stimmen die Eltern der Aussage „Wer schlecht behandelt wird, hat es in der Regel nicht besser verdient“ voll oder eher zu, so finden auch die befragten Sechs- bis Elfjährigen: „Wenn andere ein Kind nicht mögen, ist das Kind meistens selber schuld.“ Das gilt über alle Befragten hinweg.

Leistungsglaube führt zu Abwertungstendenzen

Besonders eine elterliche Gruppe fällt dabei auf, wie eine Clusteranalyse* zeigt: Eltern, die stark an Leistungsgerechtigkeit glauben („Wer sich anstrengt, erreicht auch etwas im Leben“), jedoch selbst einen eher niedrigen sozioökonomischen Status aufweisen, neigen zur Abwertung von Minderheiten und Randgruppen. Denn die Diskrepanz zur eigenen Stellung in der Gesellschaft erklären sie nicht durch ihr persönliches Handeln – sondern durch die These, andere Menschen würden unverdient bevorteilt. Diese Herabsetzung überträgt sich offenbar signifikant auf die Folge-Generation: Mehr als die Hälfte der Jugendlichen, deren Eltern zu dieser Gruppe gehören, zeigt eine überdurchschnittliche Abwertungstendenz gegenüber anderen.

Kinder und Jugendliche haben Angst, ihre Eltern zu enttäuschen

„Wir beobachten bei diesen Eltern zum einen Abwertungstendenzen, vor allem gegenüber Minderheiten, die vermeintlich Privilegien erhalten, zum anderen deutlich erhöhte Leistungserwartungen an die eigenen Kinder“, sagt Sozialpädagoge und Studienleiter Prof. Dr. Holger Ziegler. Mit drastischen Auswirkungen: Fast die Hälfte (46 Prozent) der Kinder und rund 65 Prozent der Jugendlichen aus der durch traditionelle und autoritäre Sichtweisen geprägten Gruppe von Eltern haben Angst, Vater oder Mutter zu enttäuschen. Dabei spielen Schulleistungen über die Gesamtheit der Befragten hinweg eine große Rolle, unabhängig von Ideologie und sozioökonomischem Status. So sagt mehr als jeder Vierte (rund 26 Prozent) aller Befragten: „Wenn mein Kind schlechte Noten bekommt, bin ich sehr enttäuscht.“ 27 Prozent der Eltern machen sich außerdem Sorgen, ihr Kind nicht genügend zu fördern.

Eltern können Hilfsbereitschaft ihrer Kinder fördern

Die aktuelle Auswertung bietet aber auch gute Nachrichten: In puncto Hilfsbereitschaft gegenüber Schwächeren wirken sich die Bemühungen von Eltern grundsätzlich positiv aus – offenbar auch über alle sozioökonomischen Schichten und Gruppen hinweg. Diesen Rückschluss lässt der Vergleich der Kinder-Antworten mit denen der jeweiligen Eltern zu: Geben die Eltern an, ihren Kindern beizubringen, Schwächeren zu helfen, so sagt auch die überwältigende Mehrheit (73 Prozent) der Kinder: „Wenn andere Kinder geärgert werden, versuche ich zu helfen.“ Nur 4 Prozent der Kinder, deren Eltern dieser Aussage zustimmen, lehnen sie selbst ab.

Empathie wird weitergegeben

Auch beim Gemeinschaftsfaktor Empathie zeigen sich Zusammenhänge zwischen Eltern und Jugendlichen: Je höher der elterliche Empathiescore, umso größer ist der Anteil von Jugendlichen, die den Aussagen „Es macht mich traurig, ein Mädchen zu sehen, das niemanden zum Spielen findet“ oder „Es macht mich traurig, wenn ich sehe, dass ein Junge verletzt wird“ zustimmen. Bei den Jugendlichen mit Eltern, die einen hohen Empathiewert aufweisen, antworten 83 beziehungsweise 87 Prozent bei diesen Fragen mit „stimmt“. Bei den Jugendlichen, deren Eltern einen niedrigen Empathiescore aufweisen, sind dies nur 61 beziehungsweise 58 Prozent.

Viele Eltern sind zuversichtlich – und nicht gestresst

Ein weiteres positives Ergebnis der Studie: Eltern sehen ihre Kinder überwiegend nicht als Stress-Faktor. Fast 77 Prozent stimmen eher nicht oder gar nicht der Aussage zu „Mutter / Vater zu sein, stresst mich“. Der Unterschied zwischen Vätern und Müttern beträgt dabei nicht einmal 1,5 Prozentpunkte – geschlechterspezifische Unterschiede treten demnach kaum zu Tage, ebenso wenig wie zwischen Voll- und Teilzeit-Berufstätigen. Ob es daran liegt, dass Eltern zumindest bisweilen autoritär auftreten? Immerhin 30,4 Prozent stimmen voll oder eher der Aussage zu: „Wenn mein Kind etwas tun möchte, was mir nicht gefällt, verbiete ich es ihm einfach.“ Ein Wert, der aufhorchen lässt – trägt das Elternhaus mit den dort gelebten Werten doch wesentlich zum Erleben von Gemeinschaft und sozialen Verhaltensweisen bei. Erfreulich gleichwohl: Rund 85 Prozent aller befragten Eltern sind zuversichtlich, wenn sie an die Zukunft ihres Nachwuchses denken. Das Ergebnis stimmt hoffnungsvoll – in einer komplexen Welt, in der Gemeinschaftssinn wichtiger denn je für den Zusammenhalt in der Gesellschaft ist.

* Wissenschaftlicher Hintergrund: Clusteranalyse
Für die sogenannte Clusteranalyse wurden die Antworten der Befragten in Gruppen („Cluster“) kategorisiert. Die vier gebildeten Cluster ähneln sich vor allem mit Blick auf ihren „Glauben an eine leistungsgerechte Welt“ sowie hinsichtlich ihres Sozial- und Netzwerkstatus. „Ein starker Glaube an Leistungsgerechtigkeit – auch Meritokratie genannt – meint die Überzeugung: „Wer sich anstrengt, erreicht auch etwas im Leben““, erklärt Sozialpädagoge und Studienleiter Prof. Dr. Holger Ziegler. Dabei führt der Leistungsglaube allein nicht zu Abwertung: Ein stark ausgeprägter meritokratischer Glaube herrscht auch in Cluster 1, das durch höheres Einkommen und akademischen Hintergrund geprägt ist. Hier besteht folglich keine Diskrepanz zwischen dem eigenen sozioökonomischen Status und dem Glauben an Leistungsgerechtigkeit. Im Unterschied dazu weisen die Befragten aus Cluster 4 einen eher niedrigen sozioökonomischen Status auf. Ziegler: „Lautet die Gerechtigkeitsvorstellung „Wer sozial oben oder unten ist, hat es im Wesentlichen so verdient“, man selbst steht jedoch eher unten, passen Überzeugung und Realität nicht zusammen.“ Wichtig: Eine niedrige soziale Lage allein führt nicht unmittelbar zu Abwertungsneigung, sondern erst die Verbindung von Leistungsglaube und – nicht durch eigenes Handeln erklärtem – Scheitern.

Über die Bepanthen-Kinderförderung
Die Bepanthen-Kinderförderung setzt sich seit 2008 für Kinder und Jugendliche in Deutschland ein. Im zweijährlichen Rhythmus führt sie gemeinsam mit der Universität Bielefeld Sozialstudien durch, um aktuelle Problemfelder in der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen zu identifizieren. Die aus den Studien gewonnenen Erkenntnisse fließen in die praktische Kinderförderung des Kinderhilfswerk Arche ein. Weitere Informationen finden Sie unter

Author: Bayer AG Communications

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